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Offener Brief der Stadt Borkum an den Umweltminister des Landes Niedersachsen zum Thema Gasförderung vor Borkum und Juist

 Sehr geehrter Herr Minister,


die Stadt Borkum und die Inselgemeinde Juist fordern Sie auf, die Planungen für die Erdgasförderung vor Borkum zu stoppen. Nach dem von uns erstrittenen Urteil aus Den Haag, welches besagt, dass der durch den Bau und Betrieb der Plattform schädliche Einfluss von Stickstoffemissionen auf schützenswerte Habitate der Genehmigungsfähigkeit entgegensteht und ebenfalls die möglichen schädlichen Auswirkungen der Plattform auf Meeressäuger nicht hinreichend ausgeschlossen werden konnten, ist es höchste Zeit, dass das niedersächsische Planfeststellungsverfahren beendet und die Gasbohrung nicht genehmigt wird. Das geplante Gasprojekt ist mit den deutschen Meeres- und Klimaschutzzielen sowie dem Status als UNESCO-Weltnaturerbe nicht vereinbar. Denn auch wenn sich die geplante Gasbohrung nicht unmittelbar im Weltnaturerbe befindet, so hat sie doch Auswirkungen auf das gesamte einzigartige Ökosystem Wattenmeer.

 

Wie kann die Technologie, welche auf dem niederländischen Festland über Jahrzehnte zu großen Schäden geführt und die Bevölkerung nachhaltig verunsichert hat, nun in das Meer verlagert werden, welches unser wichtigstes Hilfsmittel im Kampf gegen den Klimawandel und Lebensraum für viele unterschiedliche Lebewesen ist?

 

Groningen und die jüngsten Ereignisse in Diepholz zeigen, dass bei der Erdgasförderung immer wieder mit Erdbeben zu rechnen ist. In Diepholz waren die Erschütterungen in einem Umkreis von 15 km zu spüren. Einzigartige, schützenswerte Steinriffe befinden sich aber in unmittelbarer Nähe der geplanten Plattform in der Nordsee und drohen durch vergleichbare Beben zerstört zu werden. Ebenso gefährdet sind unsere Inseln, insbesondere unsere Schutzdünen und Deiche. Wer möchte Urlaub machen, wo möglicherweise die Erde bebt? Die Inseln leben vom Tourismus und leisten damit ihren Anteil zum Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Zusätzlich nehmen die Inseln vielfältige Funktionen ein: Sie sind Puffer bei Sturmfluten für das Festland, leisten einen großen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität und die vorkommenden Salzwiesen speichern große Mengen C02. Die Inseln dienen zudem der Erholung und sind Zufluchtsort für Menschen mit Lungen- oder Hautkrankheiten sowie psychischen Erkrankungen.

 

Dies zu riskieren, steht in keinem Verhältnis zum Ertrag aus der Erdgasförderung gegenüber einem in der UVP dargestellten Risiko von 1:10 einer vollständigen Havarie der Plattform. Zudem kommen noch die Umweltauswirkungen und Risiken während der Produktion. Die Inseln sind mit den Herausforderungen durch den ansteigenden Meeresspiegel infolge des Klimawandels und dem mittlerweile wissenschaftlich belegtem erheblichen Risiko eines Kipppunktes der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC), Schadstoffeinträgen in Luft und das Meer und den ansteigenden Temperaturen der Nordsee bereits stark belastet. Die Zunahme des Schiffsverkehrs sowie von Havarien, die Munitionsbergung und die schon jetzt und in Zukunft zu erwartenden Baubelästigung sowie enggeplante Flächennutzung kommen noch erschwerend hinzu. All dies führt schon jetzt zu Veränderungen in der Nordsee mit Auswirkungen auf Lebensräume, Arten, Fischerei, Tourismus und die Lebensbedingungen der InselbewohnerInnen.

 

Um den Schutz der Meeressäuger und der wirbellosen Organismen, die auf dem Meeresboden leben, sicherzustellen, waren schon während des Genehmigungsverfahrens weitere Seismische Scans (VSP) auf Empfehlung der MER-Kommission aus dem Verfahren ausgeschlossen worden. ONE-Dyas hatte daraufhin seine Pläne geändert, um die Auswirkungen durch Unterwasserschall auf die Meeresumwelt zu reduzieren. Seit dem 15. April 2024 liegt nun allerdings ein neuer Genehmigungsentwurf der Generaldirektion für Natur und Fischerei betreffend einer neuen Wnb-Lizenz für 3D-Seismische Untersuchungen im Gebiet N4M6 vor. Das Untersuchungsgebiet überlappt sich großflächig mit dem der N05-A Plattform und beginnt nur 2 km von der deutschen Staatsgrenze.

 

Die Auswirkungen der seismischen Studie können laut Genehmigungsentwurf in nahegelegene Natura-2000-Gebiete sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland hineinreichen. Hieraus wird deutlich, dass in der UVP auch für das deutsche Genehmigungsverfahren keine ausreichende kumulative Betrachtung der NO5 Bohrungen in Bezug auf die Lärmbelastungen für Schweinswale und andere Meeressäuger durchgeführt worden ist.

 

Der Bau der geplanten Kabeltrasse, welche die Plattform auf niederländischer Seite mit dem Windpark auf deutscher Seite verbinden soll, kann die in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannten, schützenswerten Steinriffe durch Bautätigkeiten, Erdbeben, Bodenabsenkungen, Aufschüttungen, Wärmeabgabe und Wartungsarbeiten erheblich beeinträchtigen. Somit haben sich nach dem Fund der schützenswerten Steinriffe in unmittelbarer Nähe zur Plattform und der Kabeltrasse die Fakten, die zu einer ursprünglichen Genehmigung des Baus der Kabeltrasse geführt haben, verändert. Deshalb ist eine Überprüfung zur Bestandskraft der Genehmigung durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) unbedingt notwendig. Außerdem sollte die Genehmigung davon abhängig gemacht werden, ob Deutschland dem Projekt zustimmt. Zusätzlich wurde bei der Untersuchung des Meeresgrundes auf deutscher Seite eine niederländische Bewertung zur Klassifizierung von Riffen angewendet, welche nicht der Definition nach deutschem Recht entspricht. Nach diesem Maßstab sollte jedoch geprüft werden, ob diese Riffe und damit der Lebensraum nach deutschem Recht durch das BNatSchG §30 geschützt sind. Ein Hauptgrund für den kürzlich erfolgten Entzug der niederländischen Genehmigung durch das Gericht in Den Haag waren die schädlichen Stickstoffemissionen, die durch die Bohrplattform in den sensiblen Dünenbereichen der niederländischen Inseln zu erwarten sind. Warum Stickstoffeinträge in ebenso naheliegende und in Hauptwindrichtung liegende deutsche geschützte Bereiche als irrelevant eingestuft wurden, bleibt unverständlich. Ohne die Kabelgenehmigung zum deutschen Windpark Riffgatt würden durch den Betrieb der Plattform noch deutlich größere Stickstoffemissionen in den Niederlanden verursacht, die der Genehmigungsfähigkeit der Plattform massiv entgegenstünden. Diese in den Niederlanden nicht darstellbaren Stickstoffkontingente werden sozusagen mittels der Kabelgenehmigung nach Deutschland ausgelagert. Der Windpark der in Deutschland an dieser ökologisch sensiblen Stelle, nur aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses, Strom regenerativ ohne Stickstoff und C02 Emissionen erzeugen zu können, genehmigt wurde, soll nun missbräuchlich seines eigentlichen Zweckes die Stickstoffbilanz in den Niederlanden verbessern. Der Strom, der dann nicht wie geplant ins deutsche Stromnetz eingespeist wird und potentiell 120.000 Haushalte regenerativ versorgen kann, muss durch andere Quellen ersetzt werden. Dies hat zur Folge, dass neue Emissionen von Stickstoff und C02 in der Bilanz von Deutschland auflaufen werden.

 

Niedersachsen nennt sich das Energiewendeland Nummer eins in Deutschland. Dies ist nicht vereinbar mit der erneuten Förderung fossiler Brennstoffe mit einem Genehmigungszeitraum von 35 Jahren, obwohl schon in 21 Jahren der Verbrauch auf nahe Null reduziert werden soll. Neueste Studien mit unterschiedlichen Szenarien (Februar 2024) zeigen, dass der Erdgasverbrauch bis 2035 um zwischen 28 % und 63 % zum Vergleichsjahr 2022 reduziert werden muss, um die von Deutschland gesteckten, dringend notwendigen Klimaschutzziele zu erreichen. Mehrere Länder wurden inzwischen von internationalen Gerichten verurteilt, weil ihre Maßnahmen gegen den Klimawandel und für die Reduzierung von Treibhausgasen ungenügend sind. Die jüngsten Beispiele dazu sind Großbritannien, die Schweiz und das aktuellste Urteil durch die Klage der Deutschen Umwelthilfe in Deutschland. Ebenfalls hat der Internationale Seegerichtshof in Hamburg, mehreren Inselstaaten Recht gegeben, dass der Ausstoß von Treibhausgasen als Meeresverschmutzung gilt und dass alle Staaten, welche die Seerechtskonvention unterschrieben haben, verpflichtet sind, diese zu reduzieren. Deutschland und die Niederlande haben dieses Abkommen unterzeichnet. Die Erschließung neuer Erdgasförderstellen spricht diesem entgegen.

 

Um die gemeinsamen Bemühungen zum Klimaschutz der Inseln und des Festlandes zu stärken, bitten wir Sie, das geplante Gasprojekt vor Borkum umgehend zu stoppen! Wir laden Sie auch im Namen der Stadt- und Gemeinderäte herzlich ein, sich der Diskussion mit uns Insulanern und Insulanerinnen zu diesem Thema zu stellen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Tjark Goerges                                                  Jürgen Akkermann
Inselgemeinde Juist                                     Stadt Borkum

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